Wenn wir in der Baubranche so reden würden wie ihr auf LinkedIn –würde kein einziges Bauwerk stehen
- Jörg Appl
- 15. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Die Ortsbrust gibt nach. Es ist Montag, 5:12 Uhr. Zwei Stunden Kampf – dann der Rückzug in den Baucontainer. Sie sitzt bereits dort. Schwarzer Kaffee, grauer Helm. Blaue Ringe unter den Augen. Dann sagt sie:

Svenja Ahrendt, Tunnelbau:
„Ich hafte, wenn’s kracht.
Deshalb fliegt raus, was sprachlich schon nicht trägt.“
In der Baubranche sind wir nicht wie im Marketing „super happy“.
Wir sind sprachlich an einem Tiefpunkt.
Wir sind keine Teamplayer.
Wir sind nicht energized.
Wir sind nicht auf einer Journey.
Wir arbeiten zusammen.
Wir denken.
Wir zweifeln.
Wir streiten – und wir verantworten.
Und wenn es sein muss, verklagen wir uns.
Wir haben keinen Bock mehr auf diesen Buzzword-Müll.
Denn:
Buzzwords wie „Transformation“, „Engagement“ oder „Skalierung“ fluten die Businesswelt –
aber auf der Baustelle interessiert das niemanden.
Weil dort nicht gepostet, sondern gebaut wird.
Realisiert. Gekämpft. Geschimpft.
Mit Verantwortung.
Mit Nachweisen.
Mit Konsequenzen.
Marketing in der Baubranche bedeutet Realität – nicht Rhetorik
Diese Marketingsprache –
sie soll gefallen.
Aber sie sagt nichts.
Zumindest nicht uns.
„Gamechanging“.
„Inspiring“.
„Super happy“.
Alles fühlt sich an wie der Soundtrack eines PowerPoint-Karaokeabends
in einem Baucontainer – nach zu viel Kaffee und zu wenig Baustellenrealität.
Ihr macht Kommunikation damit zum Rausch.
Aber keiner merkt mehr,
ob überhaupt noch etwas Relevantes gesagt wird –
oder was nicht gesagt werden darf, aber gesagt werden müsste.
Was in der Baubranche nicht prüfbar ist, wird nicht beauftragt
Die Baubranche kennt keine Buzzword-Toleranz.
Ein Angebot, das „inspiring“ klingt, aber nicht nachweisfähig ist – fliegt raus.
Ein Prozess, der „transformativ“ ist, aber nicht zur HOAI passt – wird nie beauftragt.
Ein Team, das „super engaged“ ist, aber keine Anwendung richtig installiert – wird abgezogen.
Denn hier geht es nicht um Wirkung im Feed,
sondern um Wirkung auf der Baustelle –
und um Verantwortung gegenüber dem Bauherrn.
Dem Menschen.
Da, wo’s hält – oder kracht.
Wenn Sprache nichts klärt, gibt’s Baustellenverbot
Wenn du mit diesen Worthülsen auf eine echte Baustelle kommst,
bist du schnell draußen.
„Wir wollen euer Engagement würdigen und gemeinsam eine transformative Skalierung ermöglichen.“
Mein Polier schaut dich an.
Er sagt nichts.
Zieht an seiner Zigarette.
Er hat zu viele wie dich erlebt.
Sie kommen.
Sie gehen.
Dann bekommst du:
Baustellenverbot.
Rhetorik ersetzt in der Baubranche keine Verantwortung
Diese Art zu reden ersetzt Baustellenrealität durch Rhetorik.
Sie vermeidet Klarheit.
Sie verschleiert Verantwortung
Sie simuliert technische Tiefe, wo in Wahrheit keine Ahnung ist.
Sie schreit nach emotionaler Zustimmung,
wo eigentlich technischer Widerspruch nötig wäre.
Und irgendwann glauben deine Leute selbst, dass sie „inspired“ sind –
obwohl sie längst nicht mehr wissen, wofür eigentlich.
Nur so viel ist klar: Sie sind weit weg von uns.
Das Schlimmste daran?
Diese Sprache korrumpiert nicht nur Kommunikation.
Sie korrumpiert dein Denken.
Wenn wir uns nur noch „inspiring“ und „deeply“ ausdrücken dürfen,
können wir – und du – irgendwann nicht mehr sagen, dass etwas falsch läuft.
Oder richtig falsch.
Dann wird Kritik zur Bremse –
obwohl sie einen Schadenfall verhindern könnte.
Und bitter nötig wäre.
Dann wird deine fiktive Realität zu meinem Risiko –
weil niemand mehr offen sagt,
was an deinem Angebot nicht funktioniert.
Auf der Baustelle undenkbar.
Und nicht wünschenswert.
Der Prüfstatiker als Teamplayer?
Die Bauaufsichtsbehörde „engaged“ in das Projekt?
Der Handaushub mit der Schaufel – „super inspiring“?
Der Beton, der sechs Stunden zu spät kommt – „challenging, aber lösbar“?
Die fehlenden Bohrpfähle – ein „game changer“?
Ach, halt die Klappe.
Wenn wir auf der Baustelle so reden würden wie auf LinkedIn,
käme kein Bauwerk zustande.
Verantwortung in der Baubranche beginnt mit Sprache
In der Baubranche feiern wir gerne.
Alle Kulturen.
Alle Religionen.
Alle Geschlechter.
Wir reden nicht mal drüber.
Aber wir feiern nicht, weil’s schön ist.
Es gibt keine Frauentage.
Keine Muttertage.
Keine Vatertage.
Wir feiern, weil wir was geschafft haben.
Zusammen. Gegen Widerstand. Unter Druck.
Wenn die Ortsbrust nachgibt.
Wenn Wasser reindrückt.
Wenn keiner mehr weiterweiß –
und doch jemand Verantwortung übernimmt.
Egal wer. Egal woher.
Dann ist das ein Moment.
Unser Moment.
Dann knallt ein Bier anders.
Dann zählt Team.
Und dann kommt Montag.
Zwei Stunden Kampf.
Drei auf der Brust, die wissen, was zu tun ist.
Der Rest sichert ab.
Und dann – im Baucontainer – poppt eine Mail auf:
„Zukunft. Begeisterung. Lösungsräume. Let’s connect. [XXX-Tag]. I am thrilled to…“
Drei Smileys.
Zwei Events.
Kein Inhalt.
Das ist kein Dialog.
Das ist nicht mal Ignoranz.
Das ist eine Entwertung meiner Realität.
Eine Entwertung dessen, was wir leisten.
Technisches Marketing braucht Nachweisqualität
Wer in der Baubranche wirken will, muss unsere Sprache sprechen.
Nicht nur technisch.
Sondern menschlich echt.
Kein Mensch auf der Baustelle ist „excited“,
wenn er zum fünften Mal erklären muss, dass etwas zu spät angeliefert wurde.
Kein Bauleiter ist „on fire“,wenn das nächste Webinar startet –
aber niemand sagen kann, wann die Zulassung kommt.
Und kein Tragwerksplaner ist „super happy“,
wenn ihm ein Produkt verkauft wird,
das der Prüfer im ersten Ansatz zerreißt.
Wir haben keine Zeit für Kaffee-Schaum-Kommunikation.
Keinen „Happy Day“.
Und auch keinen anderen.
Wir haben genug mit Wasser zu tun.
Wir brauchen Kommunikation, die wirkt wie ein Nachweis.
Die aushält, wenn mit deinem Angebot etwas nicht klappt.
Die benennt, wenn dein Angebot für die Anforderung nicht reicht.
Die aufzeigt, was technisch oder logisch ergänzt werden muss –
statt es wegzulächeln.
Wir brauchen technisches Marketing. Vielleicht nicht nur in der Baubranche.
Wir verstehen euch – aber bitte sprecht im Marketing mit uns, nicht über uns
Und ja – wir verstehen euch.
Ihr wollt neue Talente gewinnen.
Ihr wollt euer Unternehmen attraktiv zeigen.
Ihr wollt, dass Leute bei euch andocken, mitmachen, bleiben.
Alles okay. Schwamm drüber.
Aber bitte:
Unterscheidet zwischen Kommunikation nach innen – und Kommunikation zu uns.
Was ihr intern macht, wie ihr auf LinkedIn wirkt, wie ihr euch präsentiert – das ist euer Ding.
Aber wenn ihr mit uns sprecht – dann sprecht mit denen, die im Dreck stehen.
Nicht mit euren zukünftigen Mitarbeitenden.
Nicht mit euren Community-Managern.
Sondern mit uns.
Denn wir entscheiden, ob euer Angebot aufs Projekt kommt.
Ob euer System funktioniert.
Ob es hält – oder eben nicht.
Und während ihr an der Kaffeebar steht,
mit gutem Licht,
gutem Branding,
und einem Leasingwagen, der glänzt –
stehen wir im Tunnel.
Nach der Sprengung.
Staub in den Lungen.
Lärm im Ohr.
Die Stirnlampe flackert.
Wir reden nicht über Wirkung.
Wir sind Wirkung.
Und wenn ihr wollt, dass wir euch verstehen –
dann sprecht so,
dass wir euch glauben können.
„Ich hab diesen Text nicht geschrieben – aber endlich hat ihn mal jemand geschrieben. Danke, Joerg.“– Svenja Ahrendt, eine Stimme aus dem Block
SYSTEM-CHECK
Denkfragen
Wäre deine Produktbeschreibung bestandfest, wenn du sie dem Prüfingenieur vorlesen müsstest?
Was steht in deinem Marketingmaterial, das du im Haftungsfall nicht mehr sagen würdest?
Würde dein Planungsteam dieselbe Sprache verwenden, wenn es mit der Bauleitung spricht – oder wäre dir das peinlich?
Realszenario
Du bist in der Angebotsrunde für ein öffentliches Infrastrukturprojekt.
Das Vergabegremium besteht aus:
Ein:e Tragwerksplaner:in, ein:e Bauleiter:in, ein:e Jurist:in, ein:e Vertreter:in der Bauaufsicht.
Dein Pitch enthält:
„Zukunftssicherheit“, „transformative Wirkung“, „ganzheitliches Engagement“ und „emotional aktivierende Markenräume“.
Niemand unterbricht dich.
Alle bedanken sich.
Zwei Tage später bekommst du die Absage.
Begründung: „Wir sehen keine prüfbare Aussage zu Tragverhalten, Schnittstellen oder Instandhaltung.“
Frage: Was genau hast du eigentlich gesagt?
Bullshit-Killer
Streich in deinem nächsten LinkedIn-Post oder Produktflyer die folgenden Wörter:„Innovation“, „Skalierung“, „Lösungsraum“, „Transformationskraft“, „inspirierend“, „engagiert“, „excited“, „future-ready“, „brand ambassedors“, „powerful“, „journey“, „high performing“.
Was bleibt übrig?
Reicht das noch, um ein Bauwerk zu verantworten?
Der Text "tut so gut" !!